Sigfrid Gauch: Vaterspuren

 
 



Der Schriftsteller Johannes Mario Simmel (1924-2009) am 28.1.1980, Sun Tower, Monte-Carlo, Monaco: „Ich habe Ihr Buch mit grösster Aufmerksamkeit und mit grosser Bewegtheit gelesen. Es hat mich tief beeindruckt, gerade weil es nicht auf dem Schema „Vater=Nazi=böse, Ich=kein Nazi=also gut“ beruht. Bücher dieses Schemas gibt es zu Hunderten, und wir beide wissen, dass sie nichts bewirkt haben. Ihr Buch ist das erste dieser Art, von der ich eine Wirkung erhoffe (und erwarte) und dem ich weiteste Verbreitung wünsche. Es scheint, dass endlich, nach überlanger Weile, eine neue Generation herangewachsen ist, die dem Nazismus gegenüber absolut integer und dazu aktiv-wirkend tätig geworden ist. (...) Mich bewegt noch etwas anderes sehr: Eben zu der Zeit, da Ihr Buch hier eintraf, erreichten mich - mit 34jähriger Verspätung! - aus England Briefe, Aufzeichnungen und Tagebücher meines Vaters. Der nun war kein Nazi, sondern, wie sein Vater, und wie ich es bin, Sozialdemokrat. (Wir brauchen kein Wort darüber zu verlieren, dass der Vater und der Grossvater für eine andere SPD kämpften als ich es tue, mein Großvater war noch ein Freund Bebels. Immerhin bin ich immer noch ein Freund von Alex Möller.) Als die Nazis kamen, musste mein Vater fort, denn sein Name stand auf den Listen mit der Aufschrift SOFORT ZU LIQUIDIEREN... Er ist, knapp vor Kriegsende, in England, wo ich meine Kindheit mit ihm verbracht habe, gestorben. War es schon unheimlich, diese vergilbten Blätter nun in die Hand zu bekommen (darunter Briefe von mir als kleinem Jungen, die meinen Vater via Lissabon noch während des Krieges erreichten), so wurde alles plötzlich absolut gespestisch und überwirklich, als ich, sozusagen synchron, Ihr Buch über Ihren Vater las! Seitdem trage ich mich mit der Absicht - auf eine ganz andere Art natürlich -, ein Buch Ihrer Art zu schreiben, i. e. die wirklichen Wurzeln einer Vater-Sohn-Beziehung klarzumachen. (Wobei ich meinem Vater nichts zu verzeihen oder nicht zu verzeihen habe, worauf es - wie mir nach der Lektüre Ihres Buches klar geworden ist - in der Tat weniger ankommt als auf die in beiden (und allen) Fällen immer vorhandene Bindung.) Ihre Konstruktion, welche alles in den Verlauf von drei Tagen einbettet, ist Ihnen hervorragend gelungen. Von Ihrer aufrechten und - verzeihen Sie das harte Wort! - edlen Gesinnung zeugt, dass Sie sich mit Ihrem Vater nach dessen Tod auseinandersetzen. Noch einmal danke ich Ihnen für dieses vorzügliche Werk.“


Der deutsch-britische Lyriker Michael Hamburger (1924 - 2007) am 19.7.1987: „Herzlichen Dank für Ihre sehr spannende und überzeugende Darstellung Ihres Vaters, die ich gleich nach Empfang - in einer seltenen Arbeitspause - gelesen habe. Mit solchen Widersprüchen beschäftige ich mich schon lange - auch mit dem seltsamen Missverhältnis zwischen Persönlichkeit und Ideologie. (Es gibt kulturelle Krankheiten, die jenseits der Ethik und individuellen Psychologie liegen.) Da die Arbeitspause vorbei ist, kann ich leider nicht mehr dazu sagen, werde aber noch lange über Ihren Bericht nachdenken.“


Rezensionen in deutschen Medien (Auswahl):


Günter Krall: Vergangenheitsbewältigung zwischen Liebe und Entsetzen. In: Die Rheinpfalz 15. 9. 1979.


Lothar Schöne: Ahnung vom Innenleben des Vaters. In: Allgemeine Zeitung 30. 9. 1979.


Elisabeth Bauschmid: Der Vater war Nazi. In: Süddeutsche Zeitung 7. 11. 1979.


Ludwig Fels: Das war das Ende eines Ariers. In: Fischer Almanach der Literaturkritik, Fischer Taschenbuch Bd. 6452, Frankfurt am Main 1980, S. 75 f.: "Das Buch Vaterspuren ist ein unerbittlicher Forschungsbericht, der die misslungenen Taten eines nahestehenden Menschen aufrollt. Vorgeführt wird ein familiärer Tyrann, verdorben von Zucht und Ordnung, eine asketisierende Marionette, die zeitlebens in den Fäden der Unvergangenheit verstrickt blieb. Der Sohn tritt aus dem Schatten des Vaters, er weint, das ist sein schmerzhaftes Recht, er erkennt, dass er einen verirrten Lebenslauf betrauert, am Ende einen ,unwürdigen Greis‘, aber darin liegt auch der Anfang seiner befreiten Existenz in einer unschuldigeren Generation; die Kritik seines Gewissens ist beispielhaft für die subjektive Aufarbeitung einer vertanen, verdrängten Geschichtsepoche. Weder verurteilt der Sohn den Vater noch verteidigt er ihn, er enthüllt Verpfuschtes, auch bei sich, und gerade dieser Umstand verleiht der Erzählung einen Hauch verzweifelter Aufrichtigkeit. Mit Vaterspuren hat Sigfrid Gauch empfindsam einen Konflikt protokolliert, eine sparsam poetische Prosa-Akte geschrieben, durch die der Leser erfährt, wenn er es nicht schon aus eigenem Erleben und Nachdenken weiß, dass selbst das Ableben dieser törichten Machtgewinnler für diese Gesellschaft die Problematik einer Wiederholung nicht garantiert."

Jens Frederiksen: Schatten abwerfen? In: Rheinische Post 24. 11. 1979.


Wolfgang Minaty: Fragen an die Väter. In: Neue Zürcher Zeitung 13. 12. 1979.


Gert Heidenreich: Vaterspuren. In: Die Zeit 7. 12. 1979.


Adolf Fink: Briefe an den Vater. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 5. 2. 1980.


Anton Mantler: Ein Vater mit Vergangenheit. In: Kurier (Wien) 19. 1. 1980.


Armin Ayren: Ein Sturz vom hohen Sockel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. 2. 1980.


Heinz Mudrich: Traurige Aufrechnung einer Vaterschuld. In: Saarbrücker Zeitung 2. 2. 1980.


Reinhold Grimm: Schizophrenie und Faschismus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 3. 3. 1980.


Urs Bugmann: Die toten Väter mit der Seele suchend. In: Luzerner Neueste Nachrichten 26. 4. 1980.


Horst Schüler: Abrechnung mit einem Vater. In: Hamburger Abendblatt 30. 5. 1980.


Michael Schneider: Söhne und Väter. Über das beschädigte Verhältnis zweier Generationen. In: Lesezeichen. Zeitschrift für neue Literatur. H. 1 / 1980.


Heinrich Vormweg: Eine sanfte Art von Mord? Über die neueren literarischen Vaterbilder. In: Süddeutsche Zeitung 11. 4. 1981.


Adolf Schwarzenberg: Vaterspuren. In: Condor (Santiago / Chile) August 1982.


Albert von Schirnding: Patre absente. Eine Generation schreibt sich frei. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. H. 384 (1980) S. 489-497.


Uwe Naumann: Erinnerungen, in die Zukunft gerichtet. Tendenzen literarischer Faschismuskritik 1979/80. In: Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst. Bd. 3 (1980) S. 117-133.


Hans J. Fröhlich: Väter und Söhne. In: Jahresring. Literatur und Kunst der Gegenwart. Bd. 80-81 (1980) S. 205-221.


Ludwig Fels: Das war das Ende eines Ariers. Die Erzählung ,Vaterspuren‘ von Sigfrid Gauch - Unerbittliche Erforschung. In: Andreas Werner (Hrsg.): Fischer Almanach der Literaturkritik 1979. Frankfurt 1980. S. 75 f. (Fischer Taschenbuch 6452)


Michael Schneider: Väter und Söhne, posthum. Das beschädigte Verhältnis zweier Generationen. In: Michael Schneider: Den Kopf verkehrt aufgesetzt oder Die melancholische Linke. Darmstadt 1981. S. 8-64. (Sammlung Luchterhand 324)


Helmut Kreuzer: Neue Subjektivität. Zur Literatur der siebziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. In: Manfred Durzak (Hrsg.): Deutsche Gegenwartsliteratur. Ausgangspositionen und aktuelle Entwicklungen. Stuttgart 1981. S. 77-106.


Hanna Wolff: Neuer Wein - Alte Schläuche. Das Identitätsproblem des Christentums im Lichte der Tiefenpsychologie. Stuttgart 1981. S. 183 ff.


Karl Ermert / Brigitte Striegnitz (Hrsg.): Deutsche Väter. Über das Vaterbild in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Loccumer Protokolle Bd. 6. 1981. Evangelische Akademie Loccum. Rehburg-Loccum 1981.


Volker Hage: Die Wiederkehr des Erzählers. Neue deutsche Literatur der siebziger Jahre. Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1982. S. 19. (Ullstein Sachbuch 34083)


Reinhold Grimm: Elternspuren, Kindheitsmuster. Lebensdarstellung in der jüngsten deutschsprachigen Prosa. In: Rheinhold Grimm / Jost Hermand (Hrsg.): Vom Anderen und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie. Königstein 1982. S. 167-182.


Kristina Johanna Zapp: Wenn Kindheiten zu Wort kommen. Erschließung autobiographischer Quellen für religionspädagogische Erkenntnis. Dissertation. Landau 1990. passim. (Landauer Schriften zur Theologie und Religionspädagogik Bd. 4)


Tiziana Galliano: Orme paterne. La Vaterliteratur sull‘ esempio del racconto ,Vaterspuren‘ di Sigfrid Gauch. Tesi di laurea il corso in lingua e letteratura tedesca. Universita degli studi di Torino. Facolta di lettere e filosofia. Turin 1991.


Michael Schneider: Fathers and Sons, Retrospectively: The Damaged Relationship Between Two Generations. In: New German Critique. vol. 31 (1984), S. 3 - 51, darin ,Sigfrid Gauch on his father‘ S. 21 - 23.


Jürgen Serke: Der Vater ist tot, es lebe der Vater. In: Der Stern Nr. 14, 27. 3. 1980.


zur amerikanischen Ausgabe „Traces Of My Father“


Sigfrid Gauch: Traces Of My Father. Translated from the German by William Radice and with a preface by Antony Copley. Northwestern University Press, Evanston, Illinois 2002. ISBN 0-8101-1890-4.


Hannah Moscovitch: East of Berlin. Tarragon Theatre. Toronto, Ontario, Kanada. (Theaterstück) Study Guide 2008. S. 12 ff.: The Sins of the Father:

Herman Gauch pursued a career as a medical doctor before joining the Nazi party in November 3, 1922. A member of Rudolf Hess‘ SA unit (a paramilitary wing of the Nazi party), he met Adolf Hitler the following month and was entranced. In 1934, he published New Foundations for Racial Research, attracting the attention of Walther Darré, Director of the Nazi‘s Race and Resettlement Office, and directly contributing to the race theories thar would eventually justify the morder of millions. Shortly after his father‘s death, Sigfrid Gauch wrote the first of what was to become a genre unto itself in modern German literature. Traces of My Father, published in 1979, is a poignant, candid and splendidly complex memoir exploring Sigfrid‘s often tender, often troubled relationship with his father - an Ex-Nazi, the man who was referred to at Adolf Eichmann‘s trial as a ,desk murderer‘. Whether his father was in fact a powerful racial theorist or simply an aspirant is never clear in Sigfrid‘s book. What is clear, however, is that his father‘s past as a war criminal and fanatical ideologue leaves Sigfrid feeling ,guilty by proxy‘ for his father‘s actions, and psychological scars so deep they not only impact his children, but his grandchildren too. Sigfrid Gauch‘s story is not unique among his generation. However, although much had been written of the psychological effects of the Holocaust on its survivors‘ children, until very recently, little was discussed of the effects of the Holocaust on its perpretators‘ children. Gerard Posner explains that ,in postwar Germany, with its economic miracle of the 1950s and 1960s, Nazis were a dark, past shadow better forgotten. Children like Rolf Mengele (son of the infamous Dr. Josef Mengele) had to cope with their father‘s deeds on their own, without the help of German society.‘ In the last twenty years, that trend has gradually shifted through the work of Sigfrid Gauch, Gitta Serenyi, Gerard Posner and Israeli psychologist Dan Bar-On, who inspired the formation of a self-help group for the children of Nazi war criminals (Copley in Gauch).


„I recall the long solo car journeys when I would think about my father: the Oberfeldarzt (Retired), the Reichsamtsleiter in the SS, the adjutant to Heinrich Himmler, the author of New Foundations for Racial Research, the man described by the chief prosecutor in the Eichmann trial as a desk murderer, the man I knew: my father.“
In 1979 Sigfrid Gauch published the groundbreaking Vaterspuren (Traces of My Father), the first of the so-called father books about the relationships of postwar Germans with their parents. It inspired a new genre in German literature. Ever since, such writings have greatly contributed to Germany's ongoing struggle to overcome its past.
This autobiographical novel is Gauch's attempt to come to terms with his father, Herman Gauch-a physician who had joined the National Socialists in the 1920s, who wrote six books of "race research" as a member of the SS, and who to his dying day remained an unrepentant Nazi. The story alternates between the images of the elder Gauch's death and burial and the author's memories of childhood and adolescence.
Unlike many of the father books, however, Traces of My Father is less a political attack than a personal journey. Gauch, though honest about his father's monstrous actions and ideas, does not shirk their shared emotional bond. The result is a poignant attempt by a son to relive his father's notorious life and in so doing free himself from the man's influence.


First published in Germany in 1979, Gauch's memoir of his relationship with his Nazi father was the first of many post-World War II accounts by the children of war criminals. He tells it quietly, in clear, short vignettes that mix memory with his present-tense reflections. As he arranges his father's funeral, Gauch remembers a caring dad and a frail old man. The telling is part of the meaning; it's as if he can't bear to confront what the reader wants to know--what did his dad do for the Nazis? Every now and then, a fact erupts. The honorable physician was once a "desk murderer" whose eugenic theories supported the slaughter of the Jews. He admired Hitler. He was Himmler's personal physician. Until his death he was an unrepentant anti-Semite who denied the Holocaust ever happened. Is the son guilty by proxy? Could he love his father but be horrified by what he did? There's neither self-righteousness nor resolution. What this wrenching story shows and tells is that the son can never free himself of his father's guilt.
Hazel Rochman


 

Sigfrid Gauch: Vaterspuren.

Eine Lebensgeschichte. Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe. Frankfurt am Main: Verlag Brandes & Apsel, 2005;

248 Seiten, € 17,90.

ISBN 3-86099-517-0


Weitere Ausgaben: USA, Israel, Suhrkamp:




Traces Of My Father

Northwestern University Press, Evanston, USA 2002

ISBN 0-8101-1890-4



Ikwot Av

Tiltan Publishing

Jerusalem, Israel, 2001

ISBN 965-7164-04-4




Vaterspuren

suhrkamp taschenbuch 767, Frankfurt a. M. 1982

 

Internationale Pressestimmen



Peter Esterhazy bedient sich aus „Vaterspuren“:

3sat online schreibt zu der am 17. März 2010 in 3sat Kulturzeit in der Reihe „Unsere schönsten Plagiate“ ausgestrahlten Sendung

(http://www.3sat.de/dynamic/sitegen/bin/sitegen.php?scsrc=2&date=2010-03-17&division=kulturzeit&cx=59)


Meisterhafter Sprachklau

Über Peter Esterhazys umstrittene Collage-Technik

Er ist immer auf der Suche nach passenden Stellen. Peter Esterhazy, der Schriftsteller aus dem berühmten ungarischen Adelsgeschlecht. Sein weltweit gefeiertes Hauptwerk heißt "Harmonia Caelestis" - es ist die Geschichte seiner Familie.

Es ist eine gewaltige Collage aus größtenteils fremden Texten. "Esterhazys Roman 'Harmonia Caelestis', der in Deutschland 2001 erschienen ist, enthält in der Tat sehr viele sogenannte Gasttexte, zum Teil verändert, zum Teil aber so, wie die Ursprungsautoren die Texte veröffentlicht haben", erklärt Lothar Müller, Literaturkritiker der "Süddeutsche Zeitung".

185 Autoren sind als Quellen in einem Marginalienband des Verlags aufgeführt. Von Ernst Jünger über Peter Handke bis zu Danilo Kis, von dem Esterhazy gleich eine ganze Novelle hineinkopiert hat. Um die Abdruckgenehmigung ihrer Gasttexte wurden die Autoren nicht gebeten. Auch fehlt jeder Hinweis, um welchen Text es sich handelt. Während sich die Feuilletons mit dem Romanplagiat der 18-jährigen Helene Hegemann herumplagen, hat also ein weltweit anerkannter Literat die Anleihen bei anderen Autoren längst zu seinem Schreibprinzip erklärt.

"Freie Werknutzung"

Für den Schriftsteller Josef Haslinger, selbst Opfer eines Plagiats, ist die "freie Werknutzung" kein Freibrief zur Aushebelung des Urheberrechts: "In dem Augenblick, wo ich sozusagen einen eigenen künstlerischen Anspruch erkennen kann, in den fremdes Material eingeflossen ist, wird das wahrscheinlich jedes Gericht als originelle literarische Leistung akzeptieren. Wenn das allerdings nicht der Fall ist und sich so ein Collage-Charakter herstellt, dann wäre es wahrscheinlich günstig, man würde angeben, woher man diese Textbausteine hat." Und Lothar Müller ergänzt: "Es gibt vielleicht etwas wie eine grundsätzliche Laxheit bei vielen Autoren. Wenn das aber bei jemandem der Fall ist, und er sich vor Gericht durchsetzt, dann muss auch jemand wie Esterhazy Teile seines Einkommens gewissermaßen zur Verfügung stellen." Ungefragt zitierte Autoren hätten also Anspruch auf finanzielle Beteiligung - stattdessen herrscht Stillschweigen.

Einer, der nicht geklagt hat, als er gleich ein ganzes Kapitel seines Romans bei Esterhazy wiederfand, ist Sigfrid Gauch. "Ich hatte den Verlag angeschrieben, der Verlag schrieb mir freundlich zurück, das wäre das besondere intertextuelle Verfahren seiner Roman-Ästhetik. Und in diesem Fall ist die Intertextualiät bei Peter Esterhazy ein Plagiat, da das Zitat nicht als Zitat im Buch ausgewiesen ist.“

Häuser aus Sprache

Es ist ein Vorwurf, der nicht so recht in die Welt des literarischen Großmeisters passt. Auch wenn Esterhazy die Gasttexte leicht verändert und in einen neuen Kontext stellt, ändert das nichts an der Unrechtmäßigkeit des Verfahrens. Die Dreistigkeit geht soweit, dass die Übersetzerin die Originaltexte verwandt hat. In einer Talkshow kam es zu einer kuriosen Situation, als der Moderator aus der Quelle desselben Textes zitiert. "Ich habe damit gearbeitet, was ich gefunden habe", erklärt Esterhazy. "Diese Sprache. Und das habe ich auseinander genommen, und davon habe ich meine Häuser gebaut."

Texte fremder Autoren dienen als Baumaterialien für eigene Romane. "In dem Augenblick, wo es einen selbst betrifft, stellt es sich ein bisschen anders dar", sagt Josef Haslinger. "Zuerst ist es schön, dass es jemanden gibt, der das gelesen hat und für so bedeutend hält, dass er es gleich für einen eigenen Gedanken ausgeben will. Dann ist man etwas gekränkt. Ich fühle mich als Leser auch hereingelegt. Das ist irgendwie ein unredliches Spiel. Das ist eine Täuschung." ‚Harmonia Caelestis’ ist ein Meisterwerk. Nicht zuletzt auch, weil es ein Sammelsurium großer Zitate anderer Werke ist. Dennoch: Auch eine gelungene Collage von Altbekanntem ist eine riskante Methode, solange man nicht die genauen Quellen nennt. Oder ist der berühmte Anfangssatz von Esterhazys Roman zugleich das Motto für sein Schreiben? "Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt."


zur hebräischen Übersetzung Ikwot Av


Sigfrid Gauch: Ikwot Av (Vaterspuren). Übersetzung: Udi Levy. Jerusalem, Israel, 2001. Verlag Tiltan Publishing, P.O.B. 8521, Jerusalem 91083, Israel. ISBN 956-7164-04-4


Dan Bar-On: „Beichte mit gespaltenem Herzen“, in: Ha' Aretz, Israel, 30. Januar 2002:

„Das Buch des Gauch junior gehört zur Reihe der Bücher, die Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahre in Deutschland erschienen sind, in denen die Söhne mit der Nazi-Vergangenheit ihrer Väter abrechnen. Zwei Bücher sind in diesem Zusammenhang besonders bekannt: Vespers "Die Reise", eine eindringliche Auseinandersetzung des Sohnes mit seinem Vater, nach deren Niederschrift der Sohn sich das Leben nahm. Das zweite Buch, von Nikolas Frank geschrieben, dem Sohn des verruchten Gauleiters von Polen, verursacht bei mir ein gewisses Unbehagen. Die Art wie der Sohn seinen Vater verflucht, erzeugt das merkwürdige Gefühl, dass der Sohn durch diese Art zu schreiben versucht, sich von dem Einfluss des Vaters zu läutern. Der Redestil erinnert auf eine erschütternde Weise an den Stil des Vaters im nazi-jüdischen Zusammenhang, jetzt gegen den Vater selbst gerichtet. Von diesem Gesichtspunkt aus ist Gauchs Buch das weniger tiefschürfende, aber nicht das minder interessante dieser Bücher. Der Sohn versucht das Unmögliche zu tun: Die Sympathie des Vaters dem Naziregime gegenüber zu kritisieren (die sich nach 1945 um keine Spur änderte), und gleichzeitig auch die positiven Gefühle, die jeder Sohn seinem Vater gegenüber hat, zum Ausdruck zu bringen. Diese Gefühle erscheinen im Buch über Kindheitserinnerungen, die im Sohn aufsteigen - beim Tod des Vaters und der Beerdigungsfeier - in einem deutschen Dorf, in dem sich in den letzten Jahrzehnten nichts, so scheint es, verändert hat. Der Sohn, der heute zur anderen Seite der politischen Landkarte im neuen Deutschland gehört, schildert daher die Ereignisse, die ihn im Verlauf der Vorbereitung des Begräbnisses umgeben, aus einem gewissen Abstand, als würde er ein Spiel beobachten an dem er keinen Anteil hat Wer war der Vater? Der Vater Gauch war Arzt, dessen Name im Eichmann-Prozess erwähnt wurde. Er erhielt dort den Titel "Schreibtischmörder" (welcher seitdem auch Eichmann angeheftet wurde). Er "gewann" diesen Titel für die Zeit, in der er politischer Adjutant Himmlers war, und wegen seiner unerbittlichen Unterstützung der "endgültigen Lösung des Judenproblems". Der Sohn Gauch hat ein doppeltes Problem: Einerseits war der Vater schon seit den 20er Jahren ein Vollblutnazi, und das bis zum Ende seiner Tage, weit bis in die 70er Jahre im "anderen Deutschland". Der Vater war so oder anders mit den schrecklichen Dingen verbunden, die in dieser Zeit stattfanden, aus Begeisterung und dem blindem Glauben an die Notwendigkeit der "Reinheit der Rasse" Andererseits wird ersichtlich, dass sich der Vater in dieser finsteren Zeit durch nichts auszeichnete, außer vielleicht durch die hingebungsvolle ärztliche Behandlung, die er den einfachen Deutschen im seinem Dorf zuteil werden ließ. Der Vater wechselte im Laufe seines Lebens seine Stelle mehrfach, ohne Grund, und ist an keiner geblieben. Auch seine Beziehung zum Sohn, vom Gesichtspunkt des letzteren, ist durchdrungen von Widersprüchen und Gegensätzen, die im Verlauf des Buches nicht gelöst werden. Einerseits zeigt der Vater ein gewisses Engagement seinem Sohn gegenüber, was für viele Väter der Nachkriegszeit nicht selbstverständlich war, andererseits offenbart er eine Härte und das Verlangen nach absolutem Gehorsam, welche bei vielen von uns sich mit jenem "Deutschtum" vereinbart, das wir mit der Nazizeit verbinden Ob und wie man also mit einem solchen Vater abrechnen kann? Das Buch demonstriert die eigentliche Unmöglichkeit, zu einem eindeutigen Resultat bezüglich der Frage zu kommen: Wer war eigentlich der Vater? Was wollte er erreichen, und was bedeutet das alles für den Sohn, der in seinem Schatten aufwuchs und ihn nun auf seinem letzten Weg begleitet. Im Gegensatz zu Vesper, der sich bis zum Verderb mit seinem Vater quälte, und zu Frank, der seinen Vater verfluchte und ihn so aus seinem Leben auszutreiben versuchte, besteht die Bedeutung dieses Buches in der Fähigkeit des Sohnes, seinen Vater als ziemlich blasse, fast lächerliche Gestalt darzustellen; deren Verbundenheit mit der monströsen Nazi-Vergangenheit für den Vater keinerlei erwähnenswerte Aura oder Besonderheit schafft Hier ist zweifellos der Ausspruch gültig, den Hannah Arendt im Verlauf des Eichmann-Prozesses prägte: "Die Banalität des Bösen". Der nazistische Teufelsapparat stützte sich ohne Zweifel auch auf solche Menschen, Teils Opportunisten, Teils Idealisten, und ein Teil davon eine Mischung von beiden, die sich durch nichts auszeichneten außer durch der Tatsache, dass das Aufkommen Hitlers ihnen eine Gelegenheit bot, jemand oder etwas zu werden. Hier wäre es vielleicht wichtig zu erwähnen, dass der Prozentsatz der Ärzte die sich der NS-Partei anschlossen, höher war als bei allen anderen Berufsverbänden. Zum Teil waren sie später an dem Vorgang der "Euthanasie" beteiligt, welche den Auftakt zur Judenvernichtung ausmachte. Was diese Gruppe charakterisierte, war der absolute Glaube an die biologische Vision (der Rassenreinigung), mit welcher das Naziregime sie beauftragte. Vater Gauch war an einer Affaire persönlich beteiligt, die bei uns relativ wenig bekannt ist, da sie sich am Rande der Vernichtung abspielte und mit den Juden nicht verknüpft war. Im Laufe des Krieges verschleppten die Nazis polnische christliche Kinder, die ihrer Meinung nach zur Veredelung der Rasse beitragen sollten. Sie untersuchten die Verschleppten nach neun Kriterien, welche sich weitgehend auf deren äußeres Aussehen stützten. Insofern die Kinder den Kriterien entsprachen, wurden sie zur Adoption in Nazi-Familien gegeben. Entsprachen sie den Kriterien nicht - wurden sie zur Vernichtung in die Todeslager verfrachtet. Im Laufe des Krieges wurden 200.000 solcher Kinder verschleppt, die Mehrzahl wurde vernichtet, oder sie wissen nichts von ihrem vorigen Lebensgang. Kathrin Kley von der BBC hat in den 80er Jahren einen Film gedreht, in dem ein solcher erwachsener Mann beschrieben wird, der verschleppt wurde und im Verlauf des Krieges in einer deutschen Familie aufwuchs. Nach dem Krieg ist es ihm gelungen, seine polnische Mutter zu finden, seitdem lebte er zwischen den beiden Müttern. Eine weitere Chrakteristik der Bosheit, die man sich kaum vorstellen kann, und leider nicht mit dem Ende des Naziregimes zu Ende ging. Während der Trauertage nach des Vaters Tod untersucht Sigfrid Gauch die Papiere des Vaters und findet eine reiche Korrespondenz mit zentralen Figuren des Naziregimes, und mit der diesem treu gebliebenen Nachkriegsgruppe. Diese Korrespondenz ist im Kapitel IV festgehalten (die Kapitel haben eine doppelte Bezeichnung, zur Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart). Einer dieser Briefe hat meine Aufmerksamkeit besonders erweckt (S.55), von Prof. Johann von Leers, hier als "Volkskundeforscher" betitelt. "Herrn Oberst Rudel kenne ich von Argentinien her, er hat mich gerade vor wenigen Wochen hier in Kairo besucht... Das hirnlos dumme Wort "Antisemitismus", das nur die Juden aufgebracht haben, um sich hinter einer würdigen Völkerfamilie, die sie nur geschädigt haben, zu verstecken, sollten wir ganz abschaffen und nicht anwenden. Ich bin für die Semiten, weil ich gegen die Juden bin... Gerade für uns, die wir Feinde der Juden und ihrer Tradition und ihrer Tyrannei sind, sind die Völker der semitischen Sprache, besonders das edle arabische Volk, die gegebenen Verbündeten". Der Brief wurde an den Vater Gauch - von Leers, der damals, 1959, in Maádi, Kairo lebte, geschickt. Vielleicht gehörte er zur Gruppe von Wissenschaftlern, die nach Ägypten eingeladen wurden zwecks Entwicklung von Raketen zur Vernichtung Israels. Der Brief unterrichtet auch über das aktive Netz der Nazis, welches weiter existierte, zumindest mündlich, und über die Korrespondenz der Menschen, für die das Naziregime nur vorübergehend aus der Welt geschafft war. Für den heutigen Leser, in der Zeit in der in Deutschland und in anderen europäischen Ländern Gruppen von Neonazis wieder erscheinen, ist dieses Buch ein wichtiges Dokument. Es ist nicht von einem von uns, den Juden, geschrieben, die a priori als "Feind" markiert sind, sondern von einem leiblichen Sohn von einem, den sie verehren. Gauchs Schreiben erinnert gewissermaßen an die gegenwärtige Aktivität von Martin Bormann junior, welcher Mitglied der TRT-Gruppe ist, mit der ich seit 1992 zusammenarbeite, in der Täter und Opfer des Holocaust zusammenarbeiten. Bormann junior schrieb letztens ein Buch über seinen Lebenslauf, in dem er in einer ähnlichen Art wie Gauch junior mit dem Vater abrechnet. Zur Zeit hält er Vorträge vor konservativen und katholischen Kreisen, vor denen keiner von uns zu sprechen kommt, und macht auch Besuche in Strafanstalten, in denen Neonazis sitzen. Das Wichtige an seinem Werk ist, dass er ihnen von innen heraus das sagen kann, was sie von uns nicht hören wollen. (Übersetzung: Udi Levy)


"A classic, candid memoir, a gripping historical document, and a moving tragedy of conflicting minds and hearts, identities and generations."

Book Description
The classic novel of a young German trying to come to terms with his father's horrible past.“ Felipe Fernandez-Armesto (author of Civilizations: Culture, Ambition and the Transformation of Nature)


H. H. Jansen: Der Tod in Dichtung, Philosophie und Kunst. Berlin (Springer) 2013, S.497: Zu diesen Beispielen gehören die meisten Väter-Bücher des letzten Jahrzehnts, in denen Schriftsteller der Nachkriegszeit angesichts des Todes ihrer Väter sich Rechenschaft über ihr Verhältnis zum Vater geben und dessen politischen Standort zu verstehen suchen. Aus dieser Gruppe sticht Sigfrid Gauchs Erzählung „Vaterspuren“ aufgrund ihrer politischen Brisanz und interessanten Struktur hervor.